"Die Götter haben Sisyphos dazu verurteilt, unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen,
von dessen Gipfel der Stein von selbst wieder hinunterrollte. Sie hatten mit einiger Berechtigung bedacht, dass es keine fürchterlichere Strafe gibt, als eine unnütze und aussichtslose Arbeit."
So beginnt Albert Camus' Text "Der Mythos von Sisyphos".
Camus führt uns Sisyphos als Held des Absurden vor Augen, der Ja sagt zur Mühsal, die ohne Ende ist. Camus erklärt Sisyphos zum Sieger über die Götter, die ihn strafen wollten mit endloser, sinnloser Arbeit. Er ist Sieger, weil er die Sinnlosigkeit seines Tuns erkennt. "Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg." schreibt Camus.
Er zieht die Parallele zum Werktätigen in unserer heutigen Gesellschaft, der sein Leben lang unter gleichen Bedingungen arbeitet und dessen Schicksal nach Camus ebenso absurd ist wie das des Sisyphos. In dem Text Camus' gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder das Schicksal zu erleiden oder es durch Ertragen zu überwinden.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einem Versuch, einen dritten Weg zu gehen. Irmin Damm zeigt in dieser Ausstellung einen Ausschnitt eines großangelegten Experiments, baut ein Detail aus einem Versuchsraum auf, der eigentlich ihre gesamte Lebensumwelt umfasst. In diesem Versuchsraum, diesem Laboratorium, diesem Labor, zeigt sie Stücke ihrer Selbstversuche zum Thema Arbeit, Mühe, lateinisch "labor".
Irmin Damm, ausgebildete Künstlerin, arbeitet als Künstlerin, arbeitet aber nicht nur, wie man sich traditionelles künstlerisches Arbeiten vorstellt. Sie arbeitet im Büro einer Firma mit dem beziehungsreichen Namen "Atlas" - auch er Arbeiter - und sieht dies nicht als Brotarbeit an, um Ihre
künstlerische Arbeit durchführen zu können, sondern als Teil ihres künstlerischen Konzepts.
Sie ist davon überzeugt, dass es nicht nur das absurde Arbeiten der Werktätigen gibt, von dem Camus spricht, sondern auch eine Möglichkeit, Arbeit anders zu aufzufassen, Arbeit als Potential zu nutzen. Mit Hilfe der dem Menschen eigenen Kreativität die Absurdität, von er Camus spricht, zu überwinden.
Und dies tut sie, indem sie die Absurdität potenziert. Sie nimmt die Gegenstände, die sie bei ihrer täglichen Büroarbeit, ihrer alltäglichen Mühsal, ihrer labor umgeben, die Aktenordner, Schreibtische, Computer und Telefone, die sie in diesem Labor, in dem wir uns befinden, frei von ihrem alltäglichen Zweck nutzt. Dabei bildet sie die Gegenstände nicht in künstlerischen Medien ab, benutzt sie auch nicht als selbstreferentielle ready-mades, sondern arbeitet mit ihnen, die sie zur Arbeit geschaffen wurden, in einem auf Jahre angelegten Versuch. Wir werfen hier und jetzt einen Blick in ihr Labor.
Ob wir uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen trotz der unnützen und aussichtslosen Arbeit, die er zu leisten hat, vorstellen müssen, wie Camus es uns sagt, oder ob der Mensch nicht glücklich, glücklicher ist, wenn er statt zu arbeiten Kunst macht, und zwar indem er arbeitet, mag erst entschieden werden, wenn der Versuch, der niemals abgeschlossen werden kann, beendet ist.
Karl-Heinz Mauermann